Die Tränen des Holzschnitzers

Die Tränen des Holzschnitzers

In einer kleinen Werkstatt, erfüllt vom Duft frischen Holzes, saß „Meister Hassan“ an seinem alten Arbeitstisch, den die Jahre ebenso gezeichnet hatten wie die Falten in seinem Gesicht. Überall lagen Werkzeuge, jedes von ihnen war ihm vertraut wie die Linien seiner Handflächen. Jede Säge, jeder Meißel erzählte eine Geschichte von Mühe und Hingabe.

Vor ihm lag ein Holzstück, das sich nach und nach in ein Kunstwerk verwandelte: zwei Vögel, die sich liebevoll aneinanderschmiegten, umgeben von zarten Rosenblättern. Es war, als ob das Holz selbst zu atmen begann. Doch an diesem Tag war alles anders. Heute liefen ihm Tränen über die Wangen – Tränen, die er lange in sich getragen hatte.

Es waren keine Tränen der Erschöpfung, sondern der Erinnerung.
Als er vorsichtig den Staub von seiner neuen Skulptur wischte, erkannte er in den Formen der Vögel etwas, das ihn tief im Innern berührte. In ihnen sah er „Fatima“, seine Frau, die ihn durch Armut, Kälte und Freude begleitet hatte – bis sie vor fünf Jahren starb. Sie hatte ihm immer gesagt:

„Mach Dinge, die den Menschen Wärme schenken, Hassan. Holz lebt nur durch Liebe.“

Seit ihrem Tod hatte Hassan nie wieder einen Vogel geschnitzt.
Für ihn waren Vögel das Sinnbild Fatimas. Sie hatte es geliebt, sie im Garten hinter dem Haus zu beobachten – einem kleinen Paradies, in dem zwei rote Rosen wuchsen, die sie als Symbol ihrer Liebe gepflanzt hatte. Wenn der Wind wehte, neigten sich die Rosen zueinander, als würden sie miteinander flüstern.

Die Jahre vergingen, und viele Holzstücke zerbrachen unter seinen Händen. Doch sein Herz blieb still, leer. Bis eines Tages sein kleiner Enkel Adam hereinkam, mit großen Augen voller Neugier:

„Opa, warum machst du keine Vögel mehr? Mama sagt, du konntest das Holz singen lassen!“

Hassan lachte leise, aber in seinem Innern spürte er einen Stich. In dieser Nacht konnte er nicht schlafen. Er blätterte in alten Fotos, betrachtete Fatimas Lächeln – und er hörte sie, als würde sie sagen:

„Komm zurück, Hassan. Zurück zu deiner Kunst, die von uns erzählt.“

Am nächsten Morgen nahm er ein Stück Olivenholz, das er jahrelang aufbewahrt hatte. Er hatte sich nie getraut, es anzurühren. Mit zitternden Händen begann er zu arbeiten – langsam, vorsichtig, als würde er beten. Jeder Schlag des Meißels war wie ein Herzschlag: erst zögernd, dann kräftiger, lebendiger.
Das Holz antwortete ihm, als würde es seine Geschichte kennen, als wollte es selbst erlöst werden.

Tag für Tag nahm das Werk Gestalt an: ein geneigter Flügel – wie ihre Schulter, wenn sie sich an ihn lehnte; ein Auge voller Wärme; eine Rose, die sie beide umhüllte wie ihre Liebe einst. Jede Kerbe war eine Erinnerung. Jede Linie – eine späte Entschuldigung an eine Frau, die gegangen war, aber nie wirklich fort.

Als er fertig war, legte er die Werkzeuge beiseite und betrachtete die Skulptur lange. Tränen liefen über sein Gesicht. Er sah sie – nicht aus Holz, sondern aus Erinnerung.

Er berührte die Flügel mit den Fingerspitzen und flüsterte mit bebender Stimme:

„Du hast sie mir zurückgebracht, Fatima… du hast mir das Leben zurückgegeben.“

In diesem Moment trat Adam wieder ein. Er blieb stehen, sah das Werk mit großen Augen und sagte leise:

„Opa, die Vögel… sie sehen aus wie Mama, wenn sie mich umarmt.“

Hassan lächelte unter Tränen. Er sagte nichts, sondern zog den Jungen an sich.

„Ja, Adam,“ dachte er, „die Liebe stirbt nie. Sie verwandelt sich – in Holz, in dich, in alles, was wir hinterlassen.“